Simone Moro in Lukla

Der Kreis ist geschlossen. Wir sind zurück in Lukla und warten auf unseren Flug nach Kathmandu. Es sieht allerdings heute ganz und gar nicht danach aus, als würden wir den Abend bei Chicken Rosmarin und Carlsberg Bier im New Orleans in Nepals Hauptstadt verbringen. Aber langweilig wird der sich ankündigende Wartetag in Lukla nicht. So eben ist Herr Moro mit seinem Tross per Helikopter eingeschwebt.

Augenblicklich war er von Leuten umringt. Einem russischen Journalisten gab er ein Spontaninterview. Ich konnte mir also das, was ich schon aus dem Internet zu der von ihm ausgelösten Schlägerei in der Lhotseflanke weiß, aus seinem berufenem Mund noch einmal anhören. Allerdings kam kein Wort zu den von ihm ausgesprochenen Beleidigungen gegenüber den Sherpas über seine Lippen, die Ueli Steck höchstpersönlich im Schweizer Fernsehen eingeräumt hat. Ich habe auch nichts über missachtete Bitten der in der Lhotseflanke arbeiteten Sherpas gehört.

Und vor allem habe ich nichts von den Sherpas selbst gehört und gelesen. Das fällt auf. In den schweizerischen und italienischen Medien und natürlich auf etlichen Bergsportseiten im Internet sind Dutzende von Stellungnahmen von Moro und Steck sowie aller möglichen anderen Leute zu finden. Doch sämtliche Augen- und Ohrenzeugen, welche die Ereignisse gesehen oder über Funk Moros Aufforderung zum Kampf gehört haben oder sogar unmittelbar daran beteiligt waren, wie die Bergsteigerin Melissa Arnot, sind westliche Bergsteiger. Niemand, und man weise mich darauf hin, wenn ich etwas übersehen haben sollte, hat sich auf den Weg gemacht, um mal einen von den beteiligten Sherpas zu fragen. Die Berichterstattung zu diesem Thema könnte einseitiger kaum sein.

Simone Moro im Gespräch mit dem russischen Journalisten. Es war sehr nett, ihm zu zusehen und zu hören. Keine Spur von irgendwas. Wenn mich gerade 100 aufgebrachte Sherpas beinahe umgebracht hätten, weil ich sie bis aufs Blut gereizt habe, dann wäre ich zumindest betrübt und würde die ganz große Geste vermeiden. Aber Moro ist so nicht gestrickt. Er strotzt vor Selbstbewusstsein. Doch die Sherpas haben ihm die ganze Sache keineswegs verziehen, wie ich hier von allen Seiten höre. Er sollte sich besser ein Beispiel an Ueli Steck nehmen, der sich rasch vom Acker gemacht hat.

Wenn man sich die Mühe macht, die Sherpas selbst zu befragen, dann erfährt man eine verblüffende Übereinstimmung, was die der Schlägerei vorangehenden Ereignisse anbetrifft: Unterhalb von Lager 3 auf etwa 7200 m Höhe versicherte eine Gruppe Sherpas die Lhotseflanke. Eine seilfrei kletternde Gruppe, bestehend aus Steck, Moro, sowie dem britischen Fotografen und Bergsteiger Jonathan Griffith, wollten die Sherpas, von denen einer im Vorstieg unterwegs war, überholen. Die Sherpas hatten Angst, dass diese Gruppe ihre Arbeit behindern bzw. sie sogar gefährden könnte. Denn den Sherpas war natürlich klar, dass diese drei Leute, die eben nicht mit einer Steigklemme an einem Fixseil unterwegs waren, sondern frei kletterten, mit ihren Eisgeräten Eis losschlagen würden. Das musste irgendwann zwangsläufig auf die Sherpas fallen, denn es war absehbar, dass die drei die Route der arbeitenden Sherpas queren wollten. Deshalb baten die Sherpas die Dreiergruppe, zu warten. Da die Sicherungsarbeiten fast beendet waren, hätte das kein Problem für die Dreiergruppe dargestellt. Sie verlangten nichts, was in irgendeiner Weise die Pläne der drei oder sie selber gefährdet hätte.

Moros Helikopter, ein Eurocopter französischer Bauart mit dem schönen Namen Eichhörnchen, Ecureuil (AS 350 B3). Wie zu lesen ist, will Moro statt raufzusteigen jetzt Sherpas vom Everest retten, möglichst auch welche von denen, die ihn umbringen wollten.

Doch Steck, Moro und Griffith dachten nach den Worten der Sherpas überhaupt nicht daran, ihren Bitten nachzukommen. Aus diesem Grund wurden die Sherpas und vor allem ihr Vorsteiger ziemlich sauer. Doch anstatt sich für das Missgeschick zu entschuldigen oder den Versuch zu machen, die Situation auf andere Weise zu entschärfen, fing Simone Moro an, extrem ausfallend zu werden. Er sprach Schimpfwörter aus, welche die Sherpas tödlich beleidigten und extrem aufbrachten. Das und nichts anderes ließ die Situation laut der Sherpas, mit denen ich gesprochen habe, so eskalieren.

Es gab also sehr wohl einen stichhaltigen Grund für das Verhalten der Sherpas in Lager 2. Die Verwunderung darüber ist meiner Ansicht nach scheinheilig und die Erklärungsversuche nach der Art, dass Puristen, wie Steck und Moro von den Sherpas nicht gemocht werden, weil sie in der Weise, wie sie klettern, ihren Stolz verletzen würden, vollkommen absurd. Inzwischen sind nur noch ganz vereinzelt Leute auf der Normalroute, die von hunderten jedes Jahr begangen wird, auf diese Weise unterwegs. Absurd ist auch, dass es einen schon lange schwelenden allgemeinen Konflikt zwischen „Westlern“ und Sherpas den Everest betreffend gäbe. Wer so etwas sagt, hält die Sherpas für blöd. Das sind sie aber keineswegs. Sie wissen ganz genau, dass sie alle arbeitslos wären, gäbe es diese Westler und ihre verschiedenen Ambitionen bezüglich des höchsten Berges der Welt nicht. Völlig aus der Luft gegriffen ist auch die Meinung von Steck, dass Geld und Macht eine Rolle bei den traurigen Geschehnissen gespielt hätten oder die Angehörigkeit der Protagonisten zu verschiedenen Kulturen und Lebenseinstellungen Auslöser des Konflikts gewesen sein könnte. Ignoranz und Egoismus der drei westlichen Bergsteiger und vor allem die bösartigen Beleidigungen Moros, die ein Sherpas niemals auf sich sitzen lassen kann, waren der Grund für die Schlägerei in Lager 2.

Inzwischen blüht der Rhododendron auch bis an die Baumgrenze heran. Nun ist es ganz sicher auch hier im Khumbu Frühling geworden. Im Hintergrund der über 6600 m hohe Kang Tenga.

Moro und Steck können sehr froh sein, dass es unerschrockene Leute im Lager 2 wie Melissa Arnot gab, die sich zwischen die Sherpas und sie gestellt und so das Schlimmste verhindert haben. Aber was, so frage ich mich, haben Spitzenleute wie Moro und Steck eigentlich auf der Normalroute in der Lhotseflanke zu suchen? Es muss jedem glasklar sein, dass man dort, zwischen hunderten anderen Bergsteigern und Climbingsherpas nie machen kann, was man will, denn dort gibt es Regeln, Absprachen und ungeschriebene Gesetze, die man nicht brechen darf. Das ist für mich das eigentliche Rätsel an der ganzen Sache.

Weniger rätselhaft ist unsere Situation im Augenblick. Meine Vermutung heute morgen, dass wir hier aus Lukla bei dem Wetter nicht wegkommen werden, hat sich leider bestätigt. Einer von insgesamt drei Reservetagen ist nun verbraucht, und morgen stehen wir auf der Warteliste. Es ist hier Gesetz, dass immer die Leute zuerst mit dem Fliegen dran sind, die für den entsprechenden Tag ein Flugticket haben. Erst wenn diese alle abgearbeitet sind, kommen wir an die Reihe. Das heisst, es wird nun immer schwieriger, hier wegzukommen. Ich hätte auch kein so großes Problem damit, wenn es nicht den immer näher rückenden Termin unseres internationalen Fluges geben würde. Wir brauchen also schon wieder Wetterglück…

 

 

 

 

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12 Antworten

  1. Jutta sagt:

    Ich drücke euch ganz fest die Daumen, dass euer Flug rechtzeitig klappt und ihr eine stressfreie Heimreise habt. Laßt euch das Essen in Kathmandu gut schmecken, das habt ihr euch mehr als verdient!!
    Ich finde es schön, dass du in deinem Blogg auch die Seite der Sherpas darstellst. Wie du schon sagst, es gibt kaum einen Beitrag, der ihre Seite erklärt – evt. einige wenige Stellungnahmen auf der Seite von Alan Arnett.

  2. Corinne sagt:

    Wäre aber ganz schön peinlich, wenn Sie hier über Moro herziehen würden, während der Interviews in Sachen Bolotov gäbe. Das ist nämlich die naheliegendste, wenn auch traurigste Erklärung für Moro mit Helikopter und russischen Journalisten in Lukla. Dass Moro Rettungseinsätze (für Sherpas gratis) mit seinem eigenen Helikopter (für Nepal gratis) fliegt, dürfte Ihnen bekannt sein. Dass er auch bereits einen am Streit beteiligten Sherpa gerettet hat auch? Sind Sie tatsächlich fähig, daraus auf die Schlechtigkeit von Moro zu schliessen? Ich irgendwie nicht.

    • Olaf sagt:

      Hallo Corinne,
      herzlichen Dank für Deinen Kommentar. Du brauchst Dir keine Sorgen wegen des Interviews zu machen. Ich stand direkt daneben und habe zugehört. Es ging um nichts anderes als um die Schlägerei am Everest. Und ich schließe auch nicht auf die Schlechtigkeit von irgendwem, sondern beurteile einen Vorfall, der einige meiner wirklich guten Freunde betrifft, die ich teilweise seit fast 20 Jahren kenne!!

      Moro hat die Sherpas mit einem für sie unerträglichen Schimpfwort bombardiert, welches hier nun in aller Munde ist. Ich mag es an dieser Stelle nur ungern nennen. Das ist unstrittig, weil von Steck zugegeben. Und er soll sie per Funk provoziert und regelrecht zum Kampf aufgefordert haben. Das erzählten mir die Sherpas. Und dann hab ich noch von Eigensinn, Ignoranz und vor allem von gänzlich fehlendem Feingefühl bei Moro gesprochen. Das ist dann meine Meinung zu diesem Thema. Viele Grüße aus Nepal Olaf

  3. Thomas Schmidt sagt:

    Hallo,
    Und danke für den schönen Bericht aus Sicht der Sherpas – war schließlich auch hier bei uns ein Gepsrächsthema und ich dachte mir schon, dass da mehr sein musste !!
    Drücke dann auch mal die Daumen für besseres Wetter. Wir mussten letztes Jahr wegen mehrtätigem Schlechtwetter auch den Heli nehmen (natürlich mit anderen Leuten zusammen), die Flugtickets konnten dann nacher zum Glück verrechnet werden und für ich meine 700$ haben wir zu zweit jetzt 260$ zurück 😉
    Also noch ein paar schöne Tage,
    Thomas

  4. ulf sagt:

    als ich die ersten news las, dachte ich genauso! warum sollten die sherpas so etwas tun? völlig motivlos? es war klar das in der hiesigen berichterstattung WESENTLICHE facts ausgelassen wurden. dennoch, deswegen ne schlägerei in der lothse-flanke anzetteln find ich schon ganz schön krass. is ja nich gerade ebenes gelände dort, wo man mal eben gefahrlos ausrutschen darf.

  5. Erika sagt:

    Hallo Olaf!

    Seit ich vor einigen Wochen auf deinen Blog aufmerksam geworden bin, habe ich ihn immer mit Freude verfolgt – besonders die einzelnen Einblicke in die Etappen sind interessant (gerade die Sache mit der Spalte am Grat ist spannend zu lesen – besser als in einem großen Rückblick es irgendwo als halben Nebensatz zu lesen).

    Dein Kommentar zu der Everest-Diskussion wirft bei mir jedoch Fragen auf: Hast du tatsächlich die Möglichkeit gehabt, mit einem der 17 Sherpas zu reden, die beim Fixieren der Seile dabei war? Denn wenn nicht, wird sich die „Sherpa-Version“ der Geschichte im Laufe der Weitererzählungen und Geschehnisse auch etwas verändert haben und womöglich nicht mehr 100% der Wahrheit entsprechen. Auch die Sherpas sind ein Volk, das zusammenhält.

    Eine weitere Frage, die sich mir stellt ist: Alle drei sind erfahrene Bergsteiger, Ueli Steck hat bereits Expeditionen abgebrochen, um anderen zu helfen. Da passt es für mich einfach nicht ins Bild, dass sie tatsächlich unachtsam das Seil gequert haben und dabei Eis abgetreten haben (Steck meinte zudem in einem Interview, dass in der Flanke überhaupt kein Eis, sondern nur Schnee war). Es kommt doch häufig vor, dass mehrere Seilschaften in einer Route klettern und jeder hat das Recht, dort zu sein – vorausgesetzt, man nimmt Rücksicht. Steck, Moro und Griffith sind erfahren – würden sie tatsächlich so rücksichtslos sein?

    Und die dritte Frage, die sich mir stellt: Selbst wenn Moro provoziert hat und Schimpfworte benützt hat – was ich mir bei ihm tatsächlich gut vorstellen kann – rechtfertigt das in irgendeiner Weise, zu hundert (!) vermummt drei Leute anzugreifen, Steinen nach ihnen zu werfen, sie zu treten und sie mit dem Tod zu bedrohen?

    Ich persönlich denke, dass die Wahrheit irgendwo zwischen den zwei Versionen liegt. Ich möchte aber nicht darüber urteilen, weil ich schlicht nicht dabei war. Es werden wohl Fragen bleiben, die nie beantwortet werden.

    Nun wünsche ich Euch viel Glück mit dem Heimflug und schöne letzte Tage in diesem fantastischen Land. Alles Gute!

    Erika

    • Olaf sagt:

      Hallo Erika, ganz viele Fragen sind tatsächlich beantwortet. Bitte schaue Dir den von Bernd eingestellten Link an. Vielen Dank und herzliche Grüße aus Nepal

  6. Lily sagt:

    Was passiert ist, wissen nur die, die selbst dabei waren. Gewalt ist in keinem Fall ein Mittel zur Konfliktlösung.

  7. Schön, auch mal die anderes Seite zu hören und das aus erster Hand. Danke für deinen wichtigen Beitrag aus Sicht der Sherpas!

  8. Bernd | KritzelKraxel.net sagt:

    Dieser aktualisierte Artikel mit vielen weiterführenden Links mag zum Thema noch hinzugefügt werden.

    http://www.alanarnette.com/blog/2013/04/30/everest-2013-the-sherpas-viewpoint/

    Viele Grüße, Bernd

    • Olaf sagt:

      Hallo Bernd, vielen Dank für diesen Link, der ganz neu für mich ist. Besonders wichtig der Aspekt, dass es die Vereinbarung der Expeditionsleiter gab, solange nicht in die Flanke zu steigen, solange die Sherpas arbeiten. Moro und Steck haben also nicht nur die Bitten der Sherpas in der Lhotseflanke ignoriert, sie haben alles und jeden missachtet. Diesem Artikel ist nach meiner Ansicht kaum noch etwas hinzuzufügen.

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