Akademisch

Draußen ist es kalt und nass. Kletterhallenzeit. Es muss sein. Zwar ist es drinnen voll und laut, die Musik nervtötend, die Griffe bunt und es staubt. Aber dafür ist es warm und trocken. Training für draußen, Klettern ohne Risiko. Davon war ich bisher eigentlich überzeugt. Doch seit einiger Zeit bin ich irritiert. Liest man heute die einschlägigen Zeitschriften, so finden sich endlose Artikel über die Gefahren des Kletterns in Kletterhallen. Echte Experten melden sich da zu Wort, Sicherheitsgerätetester. Leute die Ahnung haben. Ich bin verunsichert.

Vor allem der arme Tube wird gescholten. 70 Prozent aller Unfälle in den Kletterhallen passieren im Zusammenhang mit dem Tube, obwohl nur 60 Prozent der Kletterer mit dem Tube gesichert werden (Panorama 6/2014). Da ich lernfähig und Argumenten gegenüber aufgeschlossen bin, habe ich mir einen ClickUp gekauft und alle gezwungen, mich im Vorstieg damit zu sichern. Auch die, die sich eigentlich viel besser mit ihrem Tube gefühlt haben. Und dabei lag mein statistisches Unfallrisiko 2012 auch noch ohne Halbautomat bei 0,023 pro 1000 Stunden Klettern in der Halle! Ich müsste also 100 Jahre lang zwei Mal pro Woche drei Stunden klettern, bis ich von einem Unfall betroffen wäre (Panorama 6/2014). Also doch Klettern ohne Risiko? Na egal. Jeder Unfall ist einer zuviel. Die Halbautomaten bieten nun mal eine höhere Sicherheitsreserve vor allem auch bei Fehlbedienungen. Und wir Menschen sind alles andere als unfehlbar.

Sie sind die Zukunft. Die Halbautomaten. Im Bild der Smart. Sie funktionieren unabhängig von der Kraft in den Händen des Sichernden, erzeugen eine größere Bremskraft und bieten eine größere Reserve bei Sicherungsfehlern.

Sie sind die Zukunft. Die Halbautomaten. Im Bild der Smart. Sie funktionieren unabhängig von der Kraft in den Händen des Sichernden, erzeugen eine höhere Bremskraft und bieten eine größere Reserve bei Sicherungsfehlern.

Und hier noch mal eine ganz private, aber bei weitem keine Einzelmeinung. Würde man die Kletterhallenbetreiber, deren Einrichtungen sehr oft wahre Gelddruckmaschinen sind, dazu verpflichten, Sturzböden einzubauen, dann würde man zwar die absolute Zahl der fatalen Fehler nicht verringern, ihre Folgen aber sehr wohl. Die Unfallchirurgen hätten viel weniger zu tun. Und ein obligatorischer Kletterschein für alle, die sich in der Halle tummeln wollen, so wie beim Tauchen oder Gabelstaplerfahren, verringerte sicher auch die Anzahl der Fehler.

Die klassische Situation. Der Vorsteiger braucht Seil zum Einhängen, der Sicherer gibt seil aus und verletzt dabei das Bremshandprinzip. Aber der Vorstieger ist sich dessen natürlich sehr wohl bewusst. Er flippt nur, weil er einhundertprozentig stabil ist und weiss, dass er in dieser Position nicht abfallen darf. Und der Sicherer weiss auch um die Gefahr. Sie schaut nach oben und weiss genau, wie sich der Vorsteiger fühlt. Ein eingespieltes Team!

Die klassische Situation. Der Vorsteiger braucht Seil zum Einhängen, der Sicherer gibt Seil aus und verletzt dabei das Bremshandprinzip. Aber der Vorsteiger ist sich dessen natürlich sehr wohl bewusst. Er clippt nur, weil er einhundertprozentig stabil ist, denn er weiss, dass er in dieser Position nicht abfallen darf. Und der Sicherer weiss auch um die Gefahr. Er schaut nach oben und sieht genau, wie sich der Vorsteiger fühlt und wie es um ihn bestellt ist. Die beste Unfallprävention: Partnercheck und ein eingespieltes Team!

Richtig interessant und vor allem relevanter, wenn es um die Vermeidung von Kletterunfällen geht, waren die Gedanken und vor allem die Fakten in einem wichtigen Artikel von Walter Würtl und Andreas Würtele in der letzten „bergundsteigen“ (3/2014). Sie analysierten die gut dokumentierten Kletterunfälle in Österreich vom November 2012 bis August 2014. 226 schwere Unfälle wurden registriert. Nur 44 davon in einer Kletterhalle! Kein Todesfall war dabei. 35 Unfälle wurden aus Klettergärten gemeldet. Lediglich einer davon endete tödlich. ABER 147 Unfälle ereigneten sich beim Klettern in Mehrseillängenrouten. 18 Kletterer kamen dabei ums Leben. Und dass, obwohl die Anzahl der Hallenkletterer um ein Vielfaches größer ist als die in der Mehrseillänge.

Auf einmal brach die Hölle los im Obereintal. Wetterbericht Fehlanzeige. Kein Netz! Aber es sah unsicher aus. Und da wir uns auf nichts verlassen konnten als auf uns selbst, musste die Route so aufgewählt werden, dass ein Rückzug immer und an jeder Stelle der Route möglich blieb.

Auf einmal brach die Hölle los im Obereintal. Wetterbericht Fehlanzeige. Kein Netz! Aber es sah unsicher aus. Und da wir uns auf nichts verlassen konnten als auf uns selbst, musste die Mehrseillängenroute so ausgewählt werden, dass ein Rückzug immer, also an jeder Stelle der Route und unter buchstäblich allen Bedingungen, möglich blieb.

Die erste und einzige Frage, die sich mir beim Studium dieser Zahlen stellte, war die nach den fehlenden Expertenmeinungen wie die Unfallzahlen in der Mehrseillänge zu bewerten und vor allem zu verringern sind. Bekannt sind sie doch schon lange. Wollte man im Bergsport Leben retten, so wäre eine Auseinandersetzung mit den Gefahren in der Mehrseillänge sicher über alle Maßen effektiver. Denn ich sehe sie immer öfter: Die Hallenkletterer, die endlich auch einmal das echte Abenteuer am Fels erleben wollen. Ohne Ausbildung, ohne Erfahrung, ohne Sensibilisierung für die objektiven Gefahren im echten Fels. Dieser Von-drinnen-nach-draussen-Effekt von immer mehr Kletterern könnte die Situation noch verschärfen.

Hier sind die Experten gefragt, die Alpenvereine, aber, und da bin ich wieder bei meinem Lieblingsgedanken, vor allem die Kletterer selbst: Anschluss an erfahrene Leute, bevor man sich in eigener Regie nach draußen wagt. Bescheidenheit bei der Auswahl der Touren. Eine gute Vorbereitung des Projektes und nicht zu letzt eine realistische Selbsteinschätzung. Uns wird zwar auf allen Kanälen suggeriert, dass wir alles können, alles dürfen und die Größten sind, wenn wir nur die richtige Ausrüstung haben. Dem ist aber leider nicht so. Echtes Bergsteigen an richtigen Felsen erfordert schon im Vorfeld viel Einsatz und Mühe, weil es jede Menge Kenntnisse und noch mehr Erfahrung voraussetzt. Das muss jeder, der nach draußen will, begreifen und danach handeln. Da helfen auch die klügsten Experten nichts.

Das könnte dich auch interessieren …

5 Antworten

  1. Thomas Schmidt sagt:

    Stimmt !!
    Ich habe vor 2 Jahren einen Felskurs mitgemacht, obwohl ich schon oft im Fels „unterwegs“ war. Ich habe gelernt, Klemmkeile zu legen und diesen (durch Reinfall) zu vertrauen.
    Meine ersten Keile haben nicht gehalten und wenn ich diese Erfahrung am falschen Ort gemacht hätte… Naja, in Mehrseillängenrouten ist es vielleicht besonders angebracht, Keile richtig legen zu können – man muss den Fels einschätzen, das ist denke ich der Unterschied zu einer Kletterhalle. Und das Wetter kommt auch noch hinzu 😉
    Aber ich klettere trotzdem lieber Draußen 🙂

  2. Lieber Olaf, sehr interessant Deine Meinung und: alles richtig, kann ich nur bestätigen. Müßte noch mal dick geschrieben in allen Kletterzeitungen erscheinen. Übrigens lernt man nie aus! Habe auch dieses Jahr im Wallis wieder Erfahrungen gesammelt: In einer Mehrseillängentour kam Mittags um 1 Uhr bei blauem Himmel in der 10. Seillänge schlagartig ein armdicker Wasserstrahl über unseren Weg. Wie es ausging kannst Du auf meiner Homepage lesen. Gruß, Erhard

  3. Morten sagt:

    Lieber Olaf,

    Bitte änder entweder das Bild beim Smart oder die dazugehörige Beschreibung…. in dem Bild wird ebenfalls das Bremshandprinzip verletzt….das sollt man schon so rausstreichen.

    Des weiteren klingt ein Vergleich von Hallenklettern mit Mehrseilklettern für mich so als würd man das gmüdliche Radfahren am markierten Radweg mit Downhillbiking vergleichen. Ist beides Radln nur mit unterschiedlichen Gefahren….

    So wird man bei einer Mehrseillänge einfach auf überproportional Risiken stossen als in der Halle. Die Alpinen Vereine leisten gute Arbeit und bieten in jede Richtung Kurse an. Sie tun meiner Meinung nach ihr möglichstes. Zu sagen…hier sind die Experten gefragt….find ich persönlich genau den falschen Weg. Die Exprrten können nur informieren…. Gefragt ist jeder einzelne. Statistische Zahlen bringen genausowenig wie Schuld oder Verantwortungszuweidungen.

    Ich klettere jetzt seit über 10 Jahren bin Sportkletterlehrwart und beweg mich auch abseits der Halle… Sollt mal ein Hacken schlecht sein….keine Sichering vorhanden sein…das Gelände zu brüchig…oder was auch immer… liegt es in MEINER Verantwortung zu entscheiden ob ich weitergehe oder umdrehe. Sollt dann wirklich mal etwas passieren liegt es in MEINER Verantwortung das bestmöglichste aus der Situation zu machen.

    Unfälle sind schrecklich und gehören so gut als möglich vermieden. Aber hier sind NICHT die Experten gefragt….hier interessiert auch keine Statistik…hier ist JEDER EINZELE gefragt sich seiner eigenen Verantwortung bewusst zu werden.

    Ich mein…. ich setz mich ja auch nicht ins cockpit eines Linienflugzeugs wenn ich mich nicht auskenn.

    In diesem Sinne….Berg heil

    • Olaf sagt:

      Hallo Morten,
      vielen Dank für Deinen Kommentar. Offensichtlich sind wir ja beide sehr einer Meinung. Ich hab nur irgendwie das Gefühl, dass Du den Artikel nicht zu Ende gelesen hast.
      Beste Grüße Olaf

      • Hallo Morten,
        ich kann nicht erkennen, warum auf dem Smart-Bild das Bremshandprinzip verletzt werden sollte. Vermutlich war ich da gerade beim Einholen des Seils beim Topropen. Der Bremsarm ist unten, was durch die Perspektive des Fotos vielleicht nicht so gut zu erkennen ist.

        Viele Grüße,
        Katja

Durch die weitere Nutzung der Seite stimmst du der Verwendung von Cookies zu. Weitere Informationen

Die Cookie-Einstellungen auf dieser Website sind auf "Cookies zulassen" eingestellt, um das beste Surferlebnis zu ermöglichen. Wenn du diese Website ohne Änderung der Cookie-Einstellungen verwendest oder auf "Akzeptieren" klickst, erklärst du sich damit einverstanden.

Schließen