Die gefährliche Tugend
Es gibt auf der ganzen Welt kaum einen unwirtlicheren Ort als die Westküste Feuerlands. Das sowieso schon sehr feuchte ozeanische Klima mit über 300 Regentagen im Jahr wird auch noch von eisigen Luftströmungen der Antarktis gespeist. Mit ungebremster Wucht wüten die kalten, regenreichen Stürme gegen die Gebirgskämme des Archipels. Doch genau das hat der Fußspitze Südamerikas ihre einmalige Unberührtheit und Schönheit bewahrt.
Besonders reizvoll ist hier die enge Verbindung von Meer, Hochgebirge, gewaltigen Gezeitengletschern und dichtem Urwald. Wer also Kälte, Regen und Sturm trotzt, den erwartet in den Fjorden Feuerlands eine Fülle von aufregenden Naturschönheiten und mit dem Monte Sarmiento einer der faszinierendsten Berge unseres Planeten. Vor allem wegen ihm waren Falk und ich mit unseren Kajaks hierher gekommen.
Doch war das, was wir beide uns vorgenommen hatten überhaupt möglich? Die Anreise durch die Fjorde Feuerlands mit Kajaks? Das hatte noch niemand gewagt. Alles was wir für eine wochenlange Belagerung des Berges brauchen würden, kann doch unmöglich in zwei winzige Boote passen? Und dann der Berg selbst! Wenn wir, wie bei wichtigen Fußballspielen, die Statistik zu Rate ziehen wollten, konnten wir hier nur verlieren. Seit dem ersten Besteigungsversuch am Monte Sarmiento durch Domenico Lovisato im Mai 1882 sind Dutzende von Expeditionen an diesem Berg gescheitert.
Und darunter waren die besten Bergsteiger der Welt. Erst im Jahre 2013 gelang einem völlig unbekannten Zweierteam die erste nachgewiesene Besteigung. Das muss man sich mal auf der Zunge zergehen lassen. Die Erstbesteigung 1956 von Carlo Mauri und Clemente Maffei ist zwar anerkannt wird aber von vielen Kennern stark bezweifelt.
Was ist los an diesem Berg, der nur 2246 m hoch ist?
Es ist das besondere Klima an der Westküste Feuerlands, welches diesen Gipfel so unglaublich schwierig macht. Und hier sind es zwei Tatsachen, die dafür entscheidend sind. Erstens der Verlauf der Feuerlandkordillere von Nord nach Süd und zweitens die Hauptwindrichtung.
Beide Polkappen der Erde sind von einem Gürtel westlicher Winde umgeben. Doch auf der Südhalbkugel sind diese Winde wesentlich stärker ausgeprägt. Der Grund dafür ist ganz einfach: Größere Landmassen fehlen. Von allen nach Süden ragenden Kontinenten steckt Südamerika seinen Fuß am weitesten in diesen Windkanal. Und in dieser Breite gibt es kein anderes Hindernis rings um den Globus, welches sich den Westwinden entgegen stellt als die Kordillere Feuerlands.
Die kalten und mit Feuchtigkeit beladenen Stürme treffen nun auf die Gebirgskämme der Westküste des Archipels und verursachen nicht nur das ständige schlechte Wetter. Hohe Windgeschwindigkeiten, eine hohe Luftfeuchtigkeit und Temperaturen um -2 bis -10 Grad sind die Voraussetzungen für die Bildung einer besonderen Art von Eis. Es wächst an starren Gegenständen entgegen der Windrichtung und bildet keinerlei feste, kristalline Strukturen aus. Der gesamte Gipfelbereich, also die oberen sechs bis achthundert Meter des Monte Sarmiento besteht aus diesem sogenannten Raueis, welches eigentlich nichts anderes ist, als der allseits bekannte Raureif, nur eben in gigantischen Ausmaßen.
Im Vergleich zu Klareis, wie wir es von Gletschern oder gefrorenen Wasserfällen kennen, ist es deshalb sehr locker. Konventionelle Sicherungsmittel, mit denen sich Bergsteiger im Eis normalerweise gut absichern können, halten in diesem Raueis schlecht oder gleich gar nicht. Und zu allem Überfluss sind die Strukturen, die Raueis bildet, häufig auch noch extrem steil.
Und damit sind wir auch beim zweiten Thema des neuen Vortrages. Sicher, es geht in erster Linie um Feuerland und den Monte Sarmiento und natürlich auch um die Vorbereitungen auf dieses besondere Projekt. Es sind einzigartige Fotos entstanden und jede Menge Filmmaterial. Und doch wäre mir das nicht genug.
Wie auf keiner anderen Expedition wollte ich an diesem Berg den Erfolg. Doch wie weit darf man dafür gehen? Das war für uns beide die ganz große Frage dort oben am Sarmiento.
Wieso sollten wir nicht darüber nachdenken, wie ein Leben, dass sowieso enden wird, aussehen muss, dass es sich zu leben lohnt und sogar auch dafür zu sterben? Nun, und da sind wir schon beim diesem gewagten Thema „MUT“. Sie ist eine gefährliche Tugend. Und zwar nicht nur, weil Mut auch schon mal blutig bestraft werden kann. Allein der Versuch, ihn zu definieren, erweist sich als überraschend schwierig.
Mehr zu diesem wirklich sehr spannenden Thema gibt es in der großen Premiere des neuen Vortrages am 12. November 2016 um 15.00 und 17.30 Uhr im großen Vortragssaal des Zeitgeschichtlichen Forums in der Grimmaischen Straße 6 in Leipzig. Es ist gut, dass bis dahin noch ein bisschen Zeit ist. Sie können sich rechtzeitig diesen Termin vormerken, und ich werde die Zeit brauchen, um aus den unzähligen, mitunter einzigartigen Fotos und Filmschnipseln auch eine außergewöhnliche Multivisionsshow zu gestalten.