Akklimatisation ist der Oberbegriff für die vielfältigsten Anpassungsprozesse unseres Körpers an den verminderten Sauerstoffgehalt in der Atemluft in großer Höhe. Eine solche Anpassung ist die Grundvoraussetzung für das Gelingen unserer Reise und braucht Zeit. Deshalb werde ich hier an dieser Stelle ausführlich darüber berichten, was Akklimatisation eigentlich bedeutet und wie wir uns am Beginn unserer Reise akklimatisieren wollen.
Was passiert mit unserem Körper, wenn wir uns an die Höhe anpassen?
Auf 5500 Meter Seehöhe, diese wollen wir auf der Reise auf jeden Fall erreichen, ist nur halb so viel Sauerstoff in der Luft vorhanden, als auf Meeresniveau. Da der Mensch von Natur aus jedoch eher für die Umweltbedingungen in Tiefebenen ausgestattet ist, muss er sich anpassen, und das beginnt schon ab einer Meereshöhe von 1500 Meter. Doch erst ab etwa 2500 – 3000 Meter merkt er etwas davon, weil sich erst oberhalb dieser Höhe deutliche Beschwerden bei nicht angepassten Menschen einstellen. Um solche Beschwerden zu vermeiden, die unter dem Menüpunkt Höhenkrankheit beschrieben werden, muss man seinem Körper Zeit geben, folgende Vorgänge in seinem Körper zu verbessern:
- Die Aufnahme des Sauerstoffs in der Lunge
- Den Sauerstofftransport im Blut
- Die Sauerstoffausnutzung in den Zellen.
Um das zu schaffen, sind die vielfältigsten biochemischen Umstrukturierungen notwendig. Es müssen vermehrt rote Blutkörperchen gebildet, Biokatalysatoren (Enzyme) umgebaut und der Stoffwechsel effektiviert werden. Das kostet Kraft, benötigt zusätzliche Energie und braucht natürlich seine Zeit. Es gibt über diese Zeitspanne, die der Körper benötigt, um sich an die verschiedenen Höhen anzupassen, sehr unterschiedliche Angaben. Franz Berghold, den ich als Autor verschiedener Artikel und Bücher über Höhenmedizin sehr schätze, gibt folgende Anhaltspunkte:
- von 0 auf 2000 Meter 1-3 Tage
- von 0 auf 3000 Meter 2-4 Tage
- von 0 auf 4000 Meter 3-6 Tage
- und von 0 auf 5000 Meter immerhin 2-3 Wochen.
Ich kann diese Zahlen nur bestätigen. Doch die meisten kommerziellen Anbieter von Trekkingtouren in den Himalaya sind, und das ist anhand der Kataloge leicht nachzuprüfen, häufig nicht einmal 14 Tage insgesamt in den Bergen. Bei einer 21 Tage dauernden Trekkingreise nach Nepal müssen ja schon vier Tage für die An- und Abreise nach Deutschland sowie die An- und Abreise in die Gebirgsregion veranschlagt werden. Meist sind drei oder vier Tage Aufenthalt in Kathmandu auch noch dabei. Wie soll der Reisende da die Zeit haben, sich ausreichend zu akklimatisieren?
Solche meines Erachtens unseriösen Angebote tragen der Tatsache Rechnung, dass heutzutage kaum noch jemand vier oder fünf Wochen Urlaub machen kann. Den Bergfreunden trotzdem anzubieten, den Everesttrek mit dem 5545 Meter hohen Kalar Pattar als Besteigungsmöglichkeit in zwei Wochen durchzuführen, bringt sie in Gefahr. Dass dies eine unleugbare Tatsache ist, weiß ich aus eigener Anschauung und aus den Erzählungen meines Freundes Pemba Sherpa, der Hubschrauberpilot bei einer neuen privaten Airline in Kathmandu ist. Täglich muss er in der Saison halbtote Trekkingtouristen ausfliegen, für die ihr Nepalabenteuer ein jähes Ende fand. Dabei hätten nur drei oder vier Tage mehr Zeit beim Aufstieg genau das verhindert.
Ich lege allergrößten Wert darauf, dass diese Zeitspannen, die oben aufgeführt sind, auch eingehalten werden. Des weiteren wird der Erfolg der Akklimatisation zusätzlich von mir überprüft, da es eben doch vorkommen kann, dass auch diese Zeiten für den einen oder anderen nicht ausreichen. Dazu können wir unseren Ruhepuls messen. Er gibt verlässlich Auskunft über den Stand unserer Anpassung. Liegt er 20 % über dem normalen Ruhepuls, den wir hier zu Hause messen, muss ein weiterer Aufstieg rigoros unterbrochen werden, sonst droht Lebensgefahr.
Doch so etwas wird aller Wahrscheinlichkeit nach deshalb nicht vorkommen, weil wir genügend Zeit zur Akklimatisation einplanen.
Unsere Anpassungszeit hat vier Phasen:
1. Flug von Kathmandu (1300 Meter) nach Lukla (2800 Meter) und Anmarsch nach Namche (3400 Meter): Dauer drei Tage. Da wir nicht von Null losfliegen, ist diese Zeit in Ordnung.
2. Aufenthalt in Namche: Dauer ein oder nach Bedarf auch zwei Tage. In dieser Zeit unternehmen wir kleinere Touren in die Umgebung und nähern uns dabei der 4000-Meter-Grenze.
3. Akklimatisationstour nach Thame: Dauer zwei Tage. Wir übernachten in Thame auf etwa 3800 Metern, kehren nach Namche Basar zurück und schlafen hier noch einmal auf einer niedrigeren Höhe. Der Körper kann sich ein wenig verschnaufen.
4. Jetzt beginnt erst der eigentliche Trek. Egal wohin wir uns wenden, immer wird folgendes Schema eingehalten: Die ersten drei Tage bewegen wir uns nicht oder nur wenig oberhalb der Schlafhöhe in Thame. Am vierten Tag steigen wir deutlich höher auf, legen dann aber am fünften Tag wieder einen oder bei Bedarf zwei Rasttage ein. Ob Bedarf besteht, wird anhand der Messung des Ruhepulses entschieden. Wir haben bis jetzt immer noch nicht die Schlafhöhe von 5000 Metern erreicht, sind aber schon 11 bzw. 13 Tage in den Bergen. Wer sich gut fühlt, kann nach dieser Zeit schon mal den Aufstieg auf einen Fünftausender wagen. Um jedoch auch auf 5000 Meter Höhe zu schlafen, ist es immer noch zu früh. Dazu sind mindestens noch weitere zwei bis drei Tage Höhenanpassung notwendig. Erst dann sind solche Ziele wie der Kalar Pattar (Schlafhöhe in Gorak Shep 5200 Meter) oder das Island Peak Basislager (5100 Meter) möglich.
Noch ein Wort zum Schluss zu Höhen über 5000 Metern. Wenn wir den Nirekha oder den Mera Peak besteigen, werden wir bei Bedarf womöglich ein Hochlager errichten und dann in immerhin 5600 Metern übernachten. An Höhen deutlich über 5000 Meter können sich Menschen aber nicht mehr anpassen. Er kann lediglich für eine sehr begrenzte Zeit ein paar „Notaggregate“ in Gang setzen. Dabei wird vor allem die Herzfrequenz, die Atemfrequenz und der Stoffwechsel beschleunigt. Der Körper gerät dabei in eine sogenannte katabole Stoffwechselsituation. Mit anderen Worten, er baut ständig ab, kann sich nicht mehr erholen. Deshalb ist es gefährlich, sich länger in großen Höhen aufzuhalten. Das allerdings haben wir natürlich auch nicht vor.
Mehr über die Auswirkungen von Höhe und dem daraus folgenden Sauerstoffmangel finden Sie unter dem Menüpunkt Höhenkrankheit.